Quelle: derStandard _Wojciech Czaja _19. April 2014, 12:33

In der Mittagspause sitzen sie auf der Blumenwiese und essen Sandwiches und frittierte Kroketten. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein zeitgenössisches Gastronomiekonzept à la "Heuriger goes factory", ist in Wirklichkeit das neue Headquarter des Rotterdamer Bauunternehmens IMD. "Früher sind wir in einem ganz normalen Bürohaus in der Stadt gesessen", sagt Remko Wiltjer, Geschäftsführer des auf Gewerbeimmobilien und Structural Engineering spezialisierten Bauträgers IMD Raadgevende Ingenieurs. "Und irgendwie hat immer etwas gefehlt, denn die Einzigartigkeit unserer Firma hat sich in der Architektur in keiner Weise niedergeschlagen."

Das ist heute anders. Seit letztem Jahr arbeiten die rund 40 Angestellten von IMD in einer alten, umfunktionierten Fabrikhalle im alten Persoonshaven in Rotterdam Zuid. Bis in die Achtzigerjahre wurde hier noch Stahl gewalzt. Die groben Stahlträger an der Decke, die gläsernen Oberlichten und die von oben herabhängenden Kranhaken zeugen noch von dieser Zeit.
Hölzerne Boxen

Ergänzt wird das von den Ector Hoogstad Architecten entwickelte Office-Konzept von simplen, hölzernen Büroboxen, die außen mit Polycarbonat ummantelt sind. Das Material, das in den Niederlanden meist für Gewächshäuser verwendet wird, dient zugleich als effiziente Low-Cost-Wärmedämmung. "Genau das ist der Clou an diesem Revitalisierungsprojekt", erklärt Architekt Joost Ector, der auch einen Großteil der Büromöbel mitgeplant hat. "Durch die Raum-in-Raum-Konfiguration war es möglich, mit günstigen Materialien zu bauen und die thermische Hülle auf ein Minimum zu reduzieren." Dadurch habe man genug Budget gehabt, um sich bei den Pausenräumen und informellen Meeting-Points auszutoben.

Mit Erfolg. "Die Atmosphäre am Arbeitsplatz hat sich vollkommen geändert", meint IMD-Chef Wiltjer. "Ich habe nun das Gefühl, dass meine Leute lockerer und gelassener geworden sind. Gleichzeitig aber sind sie engagierter und effizienter als zuvor. Der Output - das kann ich schwarz auf weiß bestätigen - ist deutlich höher als im alten Bürogebäude in der Innenstadt." Die Picknickbänke im Erdgeschoß und die künstliche, zu Teppichen geknüpfte Blumenwiese am Boden tragen dazu bei.
Produktive Ästhetik

Und das ist kein Zufall. Denn Wohlbefinden am Arbeitsplatz ist nicht nur subjektives Empfinden, sondern auch objektiv messbar. Zahlreiche Studien, vor allem aus der Schweiz und den USA, beschäftigen sich intensiv mit den Zusammenhängen zwischen Bürogestaltung, persönlichem Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit, von der letztendlich auch der Arbeitgeber profitiert.

Im Klartext: Schöne Büros fördern Wohlbefinden, Zufriedenheit und Identität und spornen die Angestellten zu mehr Leistung an. Schlechte Büros hingegen sorgen beim Personal für Unzufriedenheit, Aggression, körperliche Beschwerden und Leistungsrückgang sowie für eine Zunahme des Krankenstands.
Farbe steigerte Produktivität

Eine der womöglich radikalsten Untersuchungen, die sich mit dem Wohlbefinden des Mitarbeiters und der Auswirkung auf seine Arbeitsleistung befassen, wurde 1996 an der University of Texas in Austin, USA, durchgeführt. Nancy Kwallek, Leiterin des Design Programme, ließ 90 professionelle Sekretärinnen eine Woche lang in unterschiedlich gestalteten Einzelarbeitszimmern gegeneinander antreten und prüfte deren Produktivität in Maschinschreiben und Lektorieren. Das Ergebnis nach vier Arbeitstagen: Die Arbeitsleistung in den farbig gestalteten Räumen war - abhängig vom Farbton - um bis zu sechs Prozent höher als in einem vergleichbaren weißen Arbeitszimmer. Am schlechtesten abgeschnitten haben Grau und Beige.

"Es gibt bereits eine ganze Reihe von Unternehmen, die Architektur und Arbeitsplatzgestaltung sehr bewusst einsetzen, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren", meint Riklef Rambow, Architekturpsychologe und Leiter des Berliner Unternehmens PsyPlan. "Für viele Arbeitnehmer ist das sicherlich nicht das wichtigste Kriterium, aber mir sind Fälle bekannt, wo bei gleichwertigen Arbeitsbedingungen, Gehaltsvorstellungen und Aufstiegschancen die Gestaltung des Arbeitsplatzes sehr wohl eine entscheidende Rolle gespielt hat."
Bürodesign als "Bonbon"

Sibylla Amstutz, Leiterin des Bereichs "Human Building" im Kompetenzzentrum Typologie & Planung in Architektur (CCTP) an der Hochschule Luzern, ist sich dessen sicher, dass die Arbeitsplatzgestaltung in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird: "Für viele Unternehmen ist es zunehmend schwierig, qualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu rekrutieren", sagt sie. "Sie sind gezwungen, all ihre Ressourcen zu mobilisieren und den Interessenten entsprechende Bonbons anzubieten."

Eine Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen, ist die Attraktivität des Arbeitsplatzes. Wie groß der Gestaltungsspielraum ist, beweisen die großen Konzerne wie etwa Google, Facebook, Ebay oder Airbnb. "Die großen Unternehmen schaffen Arbeitsumgebungen, die die Tätigkeiten bestmöglich unterstützen und die Arbeitnehmer respektieren und motivieren. Das Wichtigste ist, unterschiedliche Orte zur individuellen Rekreation vorzusehen." So wie zum Beispiel im neuen IMD-Office in Rotterdam, wo den Mitarbeitern die Auswahl zwischen vielen unterschiedlichen Raumqualitäten geboten wird.
"Die individuelle Note"

Ein schöner, optimal gestalteter Arbeitsplatz ist übrigens nicht nur Wunschdenken, sondern auch Gesetz. Seit 1. Jänner 2013 fordert das Österreichische ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) eine angemessene Gestaltung des Arbeitsplatzes und des Arbeitsmilieus. Dazu zählen unter anderem Ergonomie und Raumpsychologie sowie nicht zuletzt die Möglichkeit, dem eigenen Arbeitsplatz eine persönliche und individuelle Note zu verleihen. Darüber hinaus ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Zufriedenheit der Mitarbeiter sowie die psychische und physische Belastung, der sie ausgesetzt sind, regelmäßig zu evaluieren. So weit die Theorie. Die Praxis hinkt dem hinterher. Die Realität sieht vielerorts anders aus. (Wojciech Czaja, DER STANDARD, 19.4.2014)