"Schön ist er ja", meint der Taxifahrer und blickt durch die frisch polierte Windschutzscheibe seines Hyundai dorthin, wo in 192 Meter Höhe die Spitze des etwas aggressiv wirkenden Wohnturms Zlota 44 in den Himmel ragt. "Aber ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wer da wohnen soll. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Warschau mehr als ein paar Dutzend Käufer gibt, die sich so etwas leisten können."

Tatsächlich ist das neue Wohnhochhaus von Daniel Libeskind mit Kaufpreisen um die 22.000 Zloty pro Quadratmeter mehr als üppig bemessen. Das entspricht einem Quadratmeterpreis von 5225 Euro, und das bei einem nominalen BIP von nicht einmal 9300 Euro pro Kopf. Für das Penthouse im letzten Stock, 270-Grad-Ausblick inklusive, muss man sogar 15.000 Euro pro Quadratmeter berappen. Die nicht nur finanzielle Abgrenzung vom Pöbel ist durchaus erwünscht. Die Inhalte auf der Projekt-Website www.zlota44tower.com sind lediglich mit Registrierung und Log-in ersichtlich. Alle anderen dürfen sich mit unkommentierten Agenturfotos begnügen.

 

Symbol für den Aufstieg

"Wir haben schon ein Viertel aller Apartments verkauft", sagt Jean-François Ott, CEO der zuständigen Pariser Orco Property Group, und das bei 251 Luxuswohnungen insgesamt. Zwei Drittel aller bisher verkauften Einheiten, meint Ott mit Stolz, seien an Menschen mit Hauptwohnsitz in Warschau, ein Drittel an im Ausland lebende Polen gegangen. "Ich kann mich an keinen einzigen Käufer erinnern, der nicht irgendeine Verbindung zu diesem Land aufweisen würde."

Für den gebürtigen Polen Daniel Libeskind - es ist das erste Gebäude, das der New Yorker Architekt auf Heimatboden errichtet - ist Zlota 44 vor allem eines: Symbol für den Aufstieg einer nicht immer glücklichen Stadt. Das zeige sich allein schon an der markanten Form des Gebäudes. "Ich wollte ein Symbol schaffen, das die gesamte jüngere polnische Geschichte umspannt", sagt Libeskind im Gespräch mit dem STANDARD. "Als nach dem Krieg die Kommunisten an die Macht kamen, wurde der Adler aus der polnischen Flagge rausgeschnitten. Mit dem Hochhaus Zlota 44 wollen wir Warschau einen symbolischen Adler zurückgeben."

 

Skyline mit gläsernen Segeln

Den Warschauern gefällt die nicht besonders subtile Metapher. "Ja, genau, das Haus sieht aus wie ein Flügel, wie ein gläsernes Segel sogar" , meint der Taxifahrer. Andere wiederum, Passanten auf der Straße, sind ganz angetan von der sich rasant wandelnden Skyline des Warschauer Finanzzentrums. Manche sprechen sogar von einem neuen Manhattan. Da haben die PR-Medien wohl beste Arbeit geleistet. Und schon bald, verspricht Architekt Libeskind, werde die Stadt kaum zu erkennen sein: "Dieses Hochhaus umarmt die nachhaltige Stadt des 21. Jahrhunderts. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich diese Energie auf ganz Warschau überträgt."

Allerdings: Noch stehen 75 Prozent der in Kürze zu übergebenden Wohnungen leer (Stand Oktober 2013). Daran können auch Spa-Bereich, Fitness-Center und Privatkino nichts ändern. Auch in den umliegenden Straßenvierteln wird gerade eifrig an einer Zukunft gebaut, die sich womöglich alle anderen leisten können, nur nicht die Polen selbst. Nachhaltig, wie Libeskind meint, ist da bestenfalls der unaufhaltsam fortschreitende Ausverkauf der Stadt, den die in Warschau agierenden, internationalen Immobilienplayer praktizieren.

 

Spire Tower mit 100.000 Quadratmetern

Im April 2014 soll, nur wenige Blocks von Zlota 44 entfernt, der 44-geschoßige Cosmopolitan Tower eröffnet werden. Auch hier bewegen sich die Quadratmeterpreise jenseits der 5000 Euro. Eine 195-Quadratmeter-Wohnung im 41. Stock sei gar für 1,2 Millionen Euro zu haben. Zielpublikum dieses Nobelapartments, meint Projektentwickler Michal Borowski im Interview mit der Financial Times, seien Expats und polnische Geschäftsleute.

Doch das größte Projekt steht erst in den Startlöchern. Der belgische Investor Ghelamco plant, nicht weit vom Rondo Daszynskiego, einen 220 Meter hohen Office-Turm, den sogenannten Warsaw Spire Tower (siehe unteres Foto). Die Eröffnung ist für Mitte 2015 geplant. Umzingelt ist das Projekt von einigen niedrigeren Wohn- und Bürotürmen, die bereits im Rohbau abgeschlossen sind und schon Mitte kommenden Jahres übergeben werden sollen. Insgesamt werden etwa 100.000 Quadratmeter errichtet. Das Gesamtinvestitionsvolumen des bereits mit breeam "Excellent" vorzertifizierten Projekts beläuft sich auf 250 Millionen Euro.

 

26 Euro Miete pro Quadratmeter

"Ich möchte noch nicht allzu viel über den Spire Tower verraten", gibt sich Jeroen van der Toolen, Managing Director Ghelamco für Central & Eastern Europe, geheimnisvoll. "Nur so viel: Ich beobachte, dass sich das Stadtzentrum allmählich nach Westen verschiebt. Insofern wird der Spire Tower schon bald mitten im Geschehen stehen." Die Miete in den oberen Etagen soll bis zu 26 Euro pro Quadratmeter betragen. Und das ist nicht einmal ein Fantasiepreis, sondern entspricht den derzeit durchaus üblichen Mieten in Toplagen.

Viele Experten beobachten die Bautätigkeit und Preisentwicklung in Warschau mit großer Sorge. "Die Wohn- und Büropreise sind bei einigen Projekten viel zu hoch angesetzt", meint Marcin Juszczyk, Vorstandsmitglied des Warschauer Projektentwicklers Capital Park. "Das merkt man allein schon daran, wie langsam die Flächen verwertet werden und wie hoch der dadurch entstehende Leerstand ist. Das sind Nischenprodukte." Die komplette Vermarktung von Zlota 44 etwa, schätzt Juszczyk, werde noch Jahre dauern. Und ein Teil der Bauvorhaben, die heute in hochglänzenden Broschüren präsentiert werden, werde den Schritt in die Realität ohnehin nicht schaffen.

 

Viele Office-Projekte "on hold"

Dennoch, so rechnen Experten vor, seien die aktuell vier Millionen Quadratmeter Bürofläche für eine Stadt wie Warschau - das ähnlich große Wien verfügt über rund zehn Millionen - auf Dauer zu wenig. In den kommenden Jahren soll daher eine weitere Million Office-Quadratmeter gebaut werden. "Nach der Krise haben sich viele Investoren auf das Land gestürzt, und zwar im Glauben, sie seien die einzigen", erklärt Dietmar Reindl, Director Office & Logistics bei der Immofinanz AG, im Gespräch mit dem STANDARD. Und nennt als Folge dieser kurzfristigen Übersättigung: "Viele Office-Projekte sind schon seit Jahren on hold. Zunächst einmal muss diese gewaltige Pipeline abgearbeitet werden. Das wird etwa fünf Jahre lang dauern. Dann erst wird sich bei den Warschauer Miet- und Grundstückspreisen wieder Normalität einpendeln."

Bis es so weit ist, bleibt Raum für Skepsis. Der Taxifahrer schaut hinauf und schüttelt immer noch den Kopf. "So viele teure Wohnungen!" Andere zeigen sich da etwas optimistischer: "Warschau entwickelt sich prächtig und lebt einen positiven Wandel vor", sagt Daniel Libeskind, Architekt des zum Großteil leerstehenden 192-Meter-Riesen Zlota 44, dessen Eröffnung "aus gewissen Gründen, die wir nicht erläutern möchten", wie eine PR-Sprecherin von Ghelamco kurz vor Redaktionsschluss am Telefon meint, um sechs Monate nach hinten verschoben wurde. Auf Mitte 2014. Frühestens. (Wojciech Czaja aus Warschau, DER STANDARD, 7.12.2013)